Belletristik
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Belletristik - Bücher - Textauszug aus "Zwei auf einem Stuhl"
Die Nacht, 1./2. November
Um sie herum hatte die Schwärze der Nacht alles verschluckt. Sie hörte das Heulen des Sturmes, der wütend an dem großen Tor zerrte und ihre Rufe zerfetzte. Regensalven trommelten auf das Blechdach über ihr. Von draußen drückte sich feuchte Kälte durch die Ritzen der Bretterverschalung und kroch zugig über den rauen Betonboden zu ihren nackten Füßen, kletterte ihre Beine herauf und nahm langsam und gnadenlos ihren Körper in Besitz.
Die Frau saß auf einem Stuhl. Beißender, eisiger Schmerz fraß sich durch ihren Leib. Sie schlang ihre Arme um sich, rieb mit ihren Händen ihre Schenkel, wippte mit den Füßen, streckte die Beine, zog sie an; doch allmählich wurden ihre Bewegungen langsamer, immer schwerfälliger und gingen nach und nach in Erstarrung und Gefühllosigkeit über.
Dann kam der Ärger. Über sich selbst: Warum hatte sie so blindlings den Anweisungen des nächtlichen Anrufers Folge geleistet!? Warum hatte sie sich nicht einmal ordentlich angekleidet!? Hatte nur einen Mantel über ihren Pyjama geworfen und war barfuß in ihre ausgetretenen Holzlatschen geschlüpft!? Nur weil sie wieder einmal helfen wollte? Den uneigennützigen Retter spielen? Ohne den nichts geht? Sie verfluchte sich. Eine mächtige Wutwelle wogte durch ihren Leib, brandete auf, toste eine Weile, verebbte dann und versickerte schließlich in dem Treibsand ihrer Ohnmacht.
Und plötzlich war nur noch Panik in ihr. Ihre Situation schoss in ihr Bewusstsein. Sie könnte einfach aufstehen. Einfach rausgehen. Das nächste Haus betreten und sich aufwärmen. Das könnte sie tun. Sie war nicht gefesselt, das Tor war unverschlossen, niemand bedrohte sie, keiner zwang sie mit vorgehaltener Pistole, sitzen zu bleiben.
Dennoch würde sie all das nicht tun. Ein simples, aber teuflisches Arrangement!
Die Frau saß leicht vornüber gebeugt. Wenn sie versuchte sich anzulehnen, stieß ihr Rücken gegen die Fußspitzen eines Mannes, der auf der leicht nach hinten geneigten Stuhllehne stand, eine fest gezurrte Schlinge um seinen Hals, deren anderes Ende im Dunkel über ihm verschwand. Der Mann hatte die Finger seiner Linken zwischen Schlinge und Hals gekrampft, seine Rechte umklammerte schraubstockartig das Stahlseil oberhalb seines Kopfes. Die Fingerknöchel waren angeschwollen. Seine Beine zitterten. Waden und Füße waren taub. Der Mann war verzweifelt damit beschäftigt, das Gleichgewicht zu halten. Der Mann stöhnte und wimmerte.
Für den winzigen Teil einer Sekunde durchzuckte eine schreckliche Klarheit das Bewusstsein der Frau: Sie würde den Mann töten.
Belletristik - Bücher - Textauszug aus "gar. aus."
Kapitel 1
Die Zigarette steckte in der Kerbe des Aschers. Sie schickte einen Rauchfaden empor, der kerzengerade den Lichtkegel der Schreibtischlampe durchschnitt. Oberhalb davon, mit seinem Eintreten in die schmutzige Dämmerzone zwischen Lichtschein und Dunkelheit, begann er sich nervös zu kräuseln. Mit leisem Zischen fraß sich die Glut in das Zigarettenpapier. Die Asche krümmte sich zu einem leblosen Wurm. Schließlich fiel sie auf den Boden des Aschenbechers. Die Kippe neigte sich zur anderen Seite hinab und sank aufs Wachstuch. Die Hitze ließ eine kleine Blase aufquellen, die sich allmählich bräunlich verfärbte. Ein zuerst süßlicher, dann zunehmend stechender Geruch überlagerte den vertrauten Tabakqualm und forderte für einen Moment die Aufmerksamkeit der Person am Tisch.
Wie nebenbei senkte sich ein vernarbter Daumen auf die Glut und löschte sie aus. Zeige- und Mittelfinger waren braun verfärbt, der Unterarm war von weißlichen Narben entstellt. Die Hand kehrte zur Maus zurück und bewegte sie über die Tischplatte. Die andere Hand lag auf der Tastatur. Die Person saß leicht vornüber gebeugt. Die Augen, zwischen denen sich eine tiefe Furche eingegraben hatte, starrten konzentriert auf den flimmernden Röhrenmonitor. Die Anspannung des zusammengepressten Mundes ließ die Lippen schmal und blass erscheinen. Während der rechte Zeigefinger nach kurzem Innehalten auf die Entertaste schlug, wölbte sich die Unterlippe ein wenig hoch. Um die Mundwinkel zuckte es. Das Mahlen der Kiefermuskeln zeichnete sich auf den Wangen ab. Die Augen verengten sich. Der Atem klang gepresst.
Die Person gab noch eine letzte Anweisung an ihren Chat-Partner in den Rechner ein. Einige Sekunden lang verhärteten sich die Gesichtszüge. Widerwille mischte sich mit Entschlossenheit. Schließlich reckte sich die Person zum Telefon, das auf dem Küchenbüfett neben der Spüle stand, zog es zu sich heran und wählte eine Nummer. Jemand nahm ab. Die Person sprach ruhig und sachlich. Etwas Drohendes lag in ihrer Stimme. Sie gab klare Anweisungen, denen sich der Angerufene nicht entziehen konnte.
Mit dem Anflug eines Lächelns ließ sie den Hörer auf die Gabel sinken. Sie ließ den Blick noch ein letztes Mal über die spärlich eingerichtete Küche gleiten. Dann erhob sie sich mit einem Ruck, warf sich einen Mantel um, sammelte einige Utensilien für ihre Verabredung ein und verließ die Wohnung.
Es war genau 21 Uhr.
Kapitel 2
Hallo Ike Jensen,
ich habe dich gesehen. Du wirkst richtig cool. Du mit deinen rotblonden, struppigen Haaren. Du bist schlank, wahrscheinlich ziemlich sportlich, stark. Dir kann nichts etwas anhaben, nicht wahr? Du stehst über allen Dingen, ich kenne dich. Ich weiß auch, dass du Kommissarin bist. Wie man so hört, machst du deinen Job ganz gut. Kannst dich in dieser Männerwelt durchsetzen. Musst du ja auch!
Wie gesagt, ich kenne dich, ich habe dich beobachtet. Du fragst dich jetzt, wo? Bei dem Vortrag, Du weißt schon, welchen ich meine. Du schautest dich ängstlich um, als du reinkamst. Dich sollte wohl keiner erkennen, was? Irgendwie hat dich das Thema angezogen. Du bist noch nicht sicher, ob es bei dir auch so war, hab’ ich Recht? Vielleicht hast du schon diese Träume und weißt nicht, was das soll? Oder ahnst du schon, was mit dir los ist?
Wie ist es mit deinen Beziehungen zu Männern? Hältst du die Nähe aus, lässt du dich drauf ein? Hast du Ängste? Angst, abends einzuschlafen? Angst vor Sex?
Ich saß schräg hinter dir. Du hast mich nicht beachtet. Spieltest nervös mit deinem Kugelschreiber. Du tatest so, als würdest du gar nicht dazugehören. Als wärst du nur aus beruflichen Gründen da.
Doch ich weiß, was in dir vorging. Ich sehe mich in dir: Vor einigen Jahren war ich auch so.
Du bist eine von uns. Überlebende nennt man uns. Wir müssen uns gegenseitig helfen. Ich helfe dir und vielleicht wirst auch du mir eines Tages helfen.
Aber das musst du ganz allein entscheiden.
C. B.
P.S.: Ich werde Dir noch öfters schreiben.
Irritiert stand die drahtige Kriminalkommissarin inmitten von Umzugskartons. Die neue Wohnung wirkte auf sie fremd und abweisend. Ratlos drehte die Empfängerin den Brief in ihren Händen. Kein Absender, auch nicht auf dem Umschlag. Einige Strähnen des fransigen Ponys lagen auf den Wimpern auf und zuckten bei jedem Lidschlag nervös empor. Eine ungeduldige Handbewegung wischte die Haare aus der Stirn.
Mit einem Seufzer überflog Ike Jensen den Inhalt des Schreibens ein weiteres Mal. Wendete nochmals das Blatt. Ein vages, drückendes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit und schien die Speiseröhre hochklettern zu wollen; ein Gefühl, vermischt mit Geruch und Erinnerung. Etwas Altes, Vergessenes.
Ruckartig straffte sich die burschikose Frau, atmete durch. Schon bekam eine andere Stimme in ihr die Oberhand: Blödsinn! Ein Streich. Eine Verwechslung!, dachte sie unwirsch und ließ den Brief auf einen der zahlreichen Kartons gleiten. Ihr Blick rutschte an dem Kartonstapel in der Zimmermitte hinunter. Auf dem Boden noch Spuren von Gipsstaub vom Renovieren. Schon wieder Umzug!
Ikes Augen flüchteten vor all den Dingen, die sie zum Ankommen aufforderten und sie mahnten, hier ihr Zuhause einzurichten. Aber warum hier? Wozu? Wie alle anderen Wohnungen, die sie in den letzten Jahren bezogen und wieder verlassen hatte, würde auch diese seelenlos bleiben und ihr immer nur das eine widerspiegeln: Heimatlosigkeit.
Ikes Augen kämpften weiter mit den Strähnen, die sie blinzeln ließen: So konnte die Wirklichkeit nur in vorsichtig dosierten, zerhackten Einzelbildern bis in ihr Inneres vordringen.
Ikes Augen suchten das Fenster. Ihre Augen fanden im Hinausschauen die Ferne, das Vorübergehende und Unverbindliche: den ZOB gleich gegenüber, dahinter den Bahnhof und die Ausfallstraße zur Autobahn. Unterwegs Sein, Ankommen und – bevor die Zweifel begannen – wieder Abreisen.
Die alte, etwas heruntergekommene Stadtvilla schien erleichtert, als sie Ike Jensen auf die Straße entließ. Friedlich, vielleicht auch gleichgültig, blieb das Gebäude zurück, trat sozusagen in einen Zustand aquarellartiger Unwirklichkeit ein, während sich die Kommissarin entfernte und die Hansestraße überquerte. Auf Anhieb fand sie den richtigen Bussteig und stieg in die 7 ein. Den Freitag hatte sie sich wegen ihres Umzugs frei genommen, um nun noch für eine Stunde ins Polizeihochhaus an der Possehlstraße zu fahren und ihr neues Büro zu beziehen.
Wieder ein Umzug!
Einsatzkrimis
Belletristik - Einsatzkrimis - Die schöne Mechthild
Die Schöne Mechthild
Mechthild, die sich in dem hehren Bewusstsein, die Schönste auf dem Hofe und des gütigen Bauern Friedholdens Liebste zu sein, weil dieser sie, sobald er ihrer gewahr wurde, mit einem derart schimmernden Glanze in seinen Augen ansah, dass ihr ein wärmender Sonnenstrahl ins Herz fuhr und sie sich noch ein wenig stolzer in die Brust warf, fast wie der selbstverliebte Ganter Gundelherr, dessen gerupftes und zotteliges, schmutzigweißes Federkleid sein Selbstbild nicht anzugreifen vermochte und dessen Avancen sie sich stets erwehren musste, weil sie doch für den gnädigen Herrn bestimmt war, musste sich, als sie plötzlich von eben diesem Bauern Friedhold, der ihr offenbar hinter der Ecke des Wohnhauses, welches er mit seiner liederlichen Magd Elsa in heimlicher Eintracht bewohnte, aufgelauert hatte, heimtückisch ergriffen, mit ihrem schönen zarten Hals auf einen Holzklotz gelegt und dem brutalen Hieb mit einem unangenehmen Gegenstand zufolge, in dem sie, ihr Gänseleben aushauchend, eine Axt vermutete, von ihrem halsabwärtigen Leib getrennt wurde, eingestehen, dass sie Friedholdens glänzenden Blick wohl gründlich missverstanden hatte.
© Michael Mehrgardt, 30. August 2018
Belletristik - Einsatzkrimis - Radrennen
Radrennen
Die anfänglich enthusiastische Zustimmung für die Pläne unseres Herrn Bürgermeisters,
am 30. Mai dieses Jahres ein Massen-Radrennen in unserer Stadt stattfinden zu lassen,
an dessen Planung und Zustandekommen er auch höchstselbst Hand angelegt hatte,
wandelte sich in schieres Entsetzen und wütende Proteste,
als bekannt wurde,
dass zeitgleich auf eben diesen Straßen eine Messung der Feinstaubbelastung durchgeführt werden sollte,
die mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Dieselfahrverbot enden würde,
gegen welches sich eben dieser unser Bürgermeister wegen seiner engen Verflechtung mit der heimischen Autoindustrie vehement aufgelehnt hatte,
und dass sein Kalkül genau darauf abzielte,
die Sportler,
deren Höchstleistungen intensivste Respirationen zur Folge haben würden,
eo ipso als Biofilter zu verwenden.
© Michael Mehrgardt, Februar 2019
Liste aller Veröffentlichungen
Belletristik - Liste aller Veröffentlichungen
Veröffentlichungen Belletristik
2004 Ein Tag mit dir (Lyrik), in: Gedichtband „Literaturpreis 2004“ der Berg- und Rosenstadt Sangerhausen (Elfen-Verlag, 2004). ISBN 3-937410.06-6
2004 – 2007 etwa 50 Glossen für die Rubrik Echt wahr in den Lübecker Nachrichten
2005 Dialektik des Anhaftens (Kurzgeschichte), in: Sturm im Stundenglas. Joachim Wende (Hg.). ISBN 3-8334-3541-0
2005 Reife (Lyrik), ebd.
2007 Zwei auf einem Stuhl (psychologischer Krimi), Herkules-Verlag. ISBN 978-3-937924-53-3
2007 Die Fremde neben mir (Kurzgeschichte), in: Edition Leselust Anthologie 2007. ISBN 978-3-86675-900-8
2010 gar.aus (psychologischer Kriminalroman), Sutton-Verlag. ISBN 978-3-86680-609-2
2010 Agentur Himmelreich (Kurzkrimi), in: Morden zwischen den Meeren – kleine Verbrechen aus Schleswig-Holstein. G. Butkus, J. Schlennstedt (Hg.), Pendragon-Verlag, ISBN 978-3-86532-193-0
2010 Altweibersommer (Kurzkrimi), in: Mörderische Ostsee – Ihr krimineller Reiseführer. Dietlind Kreber (Hg.), Windspiel-Verlag, ISBN 978-3-9813966-0-7
2011 Fingerfood (Kurzkrimi), in: Mörderische Ostseegerichte – Ihr krimineller Restaurantführer. Dietlind Kreber (Hg.), Windspiel-Verlag, ISBN 978-3-981 3966-1-4
2011 Strandkorb Nummer Fünfzehn (Kurzkrimi), in: Strandkorbkrimis. Dietlind Kreber (Hg.), Windspiel-Verlag, ISBN 978-3-981 3966-2-1
2012 Nachtschwärmer (Kurzkrimi), in: Schöner morden im Norden. G. Butkus, J. Schlennstedt (Hg.), Pendragon-Verlag, ISBN 978 3865 3230 88
2012 Faust aufs Auge – Ein metaphysischer Wirtschaftskrimi (Theaterstück), adspecta Theaterverlag
2012 Ehrlich lügt am längsten – Eine (wirklich nur leicht) frivole Boulevard-Komödie (Theaterstück), adspecta Theaterverlag
2013 Ein makelloser Tag (Kurzkrimi), in: NordMord. Die besten Kurzkrimis von der Waterkant. Ellert & Richter Verlag; sh:z das medienhaus, ISBN 978 383 190 543-0
2013 Weihnachtsengel (Kurzkrimi), in: Kriminelle Weihnachten. Angelika Waitschies (Hg.), Windspiel-Verlag, ISBN 978-3-944399-04-1
2017 Verhängnisvolle Begegnung (Kurzkrimi), in: Mörderische Ostsee. Dietlind Kreber (Hg.), Windspiel-Verlag, ISBN 978-3-944399-54-6